Eröffnungsreden
CompARTibel-Ausstellungen
Professor Dr. Ploeger : Besprechung Ausstellungsporträts "Immer ist jetzt." 28.3.-23.4.2013 2014
Interessante Interpretationen /Assoziationen der gezeigten grafischen Porträts und Radierungen aus dem Blickwinkel der "Psychoanalyse"( z.T. abgebildet unter "Werke"/ vgl. meine Homepage )
---------www.ploeger-neises.com/kanonenfutter.html----------------------------
RUNDGANG:
1 Wellershof/Wohmann
(linkes Bild) Die hängenden Mundwinkel, der gesenkte Blick und die gepressten Lippen geben den Eindruck der Beobachtung eines unerwarteten, befremdlichen, vielleicht auch gefährlichen Geschehens. Dies vermittelt eine Tendenz zum Innehalten, evtl. zum Rückzug, auf jeden Fall einer gespannten Ruhe angesichts des Wahrgenommenen. Die wirren Harre lassen vermuten, dass auch die eigene Befindlichkeit einem untergeordneten, vielleicht sogar chaotischen Zustand entspricht.
(Mittleres Bild, Wellershof) Auch hier ist der Blick gesenkt, doch der gesamte Kopf folgt ihm nach. Dieses Angesicht lässt eher eine lockere Einstellung einem interessanten Geschehen gegenüber vermuten, das nicht Befürchtung, wie das linke Bild, sondern zugewandte Aufmerksamkeit ist. Der Mund ist auch hier geschlossen, jedoch wirkt er nicht gepresst. Die Affektlage dürfte demnach nicht ausgeglichen, sondern von einer Überraschung durch etwas Neuem gekennzeichnet sein.
(Rechtes Bild, Wellershof) Hier zeigt sich Herr Wellershof in ähnlicher innerer Haltung wie im mittleren Bild. Hier sind insbesondere die Zielrichtung seines Blickes und die gespannte Aufmerksamkeit in der Mimik bemerkenswert. Es scheint, dass eigene Handlungsimpulse zurückgesetzt und auf das Geschehen hin orientiert werden.
2 Wellershof/Euriade
Obwohl die Aufmerksamkeitshaltung von Dieter Wellershof hier ähnlich erscheint, ist jedoch durch die Zuspitzung des Mundes und die hier betont hochgezogenen Augenbrauen das Interesse an dem zu sehenden Geschehen offenbar intensiver, was eine evtl. bedrohliche Erwartung betrifft. Im gleichen Sinne aber könnte auch hier eine positive Überraschung den hier in besonderer Weise geöffneten Blick kennzeichnen.
3 Wellershof/Euriade
(Links) Hier tritt Herr Wellershof in mehr gelassenerer Haltung auf. Er scheint einem Geschehen zuzuschauen, welches er erwartet, welches ihn interessiert, doch evtl. auch welches er nur aus einer momentanen Langeweile beobachtet.
(Rechts) Wie schon die Aufschrift verrät ist Dieter Wellershof hier in einer geplanten Situation. Sein Ausdruck zeigt eine Aufmerksamkeit offenbar einem nicht plötzlichen, sondern erwarteten und kontinuierlichen Geschehen gegenüber. Im Gegensatz zu den anderen Porträts wirkt er hier gelassener und in sich ruhender.
4 Wohmann/Doppelporträt
Ohne zu wissen, was Frau Wohnmann tut oder wer sie ist manifestiert dieses Gesicht eine eher beiläufige Blickwendung, die offenbar nicht auf ein bestimmtes Ziel, sondern auf ein ablenkendes Objekt gerichtet ist oder überhaupt nur in die freie Natur und Landschaft. Es strahlt innere Gelassenheit und eher eine Zufriedenheit mit sich und dem Geschehen aus
5 Martin Walser
Zunächst ist überraschend, dass dieses mehr mit einem Kleinkindkopf erscheinende Wesen Martin Walser sein soll. Die Verzerrungen des Gesichts lassen an seine Mahnung gegen Weiterbeschäftigung mit der Nazi-Zeit denken, die bei seiner Rede zur Verleihung des Deutschen Buchpreises an ihn im Jahre 1999 sowohl lebhafte Zustimmung, insbesondere aber von ehemaligen Opfern des Nazi-Regimes heftige Ablehnung fand. Ignaz Bubiz, der damalige Vorsitzende des Zentralrat der Juden in Deutschland, nannte diese Äußerung von Walser „Geistige Brandstiftung“. Hat Walser mit dem hier dargestellten Blick vielleicht diese Brandstiftung erkannt? Oder ist es das bloße Befremden darüber, dass er – selbst in der Nazi-Zeit großgezogen und gelebt – mit seiner Mahnung viel Zustimmung bei den Zuhörern, bei reflektierenden Menschen jedoch das Gegenteil, nämlich heftige Ablehnung erfuhr?
6 Willy Brandt
Hier zeigt sich Willy Brandt etwas befremdlich für den, der Willy Brandt als Politiker erlebt hat. Aus seinem Blick könnte sich eine gewisse Beständigkeit zu erkennen geben, die in seiner Geschichte darin besteht, dass er vor den Nazis nach Norwegen entwich und nach dem Krieg als der in jenen Nachkriegsjahrzehnten von den meisten denkenden und nicht nur systemkonform handelnden Deutschen als der wichtigste, zielstrebigste, ethischen Prinzipien fest verpflichtet Politiker erschien. Sein überraschender Abtritt rief bei diesen Menschen Bedauern hervor. Vielleicht sind dies die schwarzen Flecke, welche das Bild sowohl im Gesicht wie im Hintergrund zeigt? Der Blick von Willy Brandt, insbesondere mit der Zielrichtung des rechten Auges, scheint sich auf die Ziele zu richten, die ihm und den ihn verehrenden Deutschen selbstverständlich und unerschütterlich waren, nämlich die ethischen Werte auch in der Politik.
7 Willy Brandt
Hier wirkt Willy Brandt etwas resigniert. Sein Ausdruck ist faltenreich verzogen, der Blick nun von beiden Augen in eine bestimmte Zielrichtung gelenkt, scheint zugleich etwas Unerwartetes, vielleicht etwas Bedrohliches wahrzunehmen. Es könnte der Blick auf den Beginn des Nazi-Regimes sein, dem er in seiner auf Prinzipien ruhenden Grundhaltung nach Norwegen entwich. Der Blick auf diesem Bild dürfte ein momentaner sein, eher eines momentan erschreckenden Erkennens mit der Notwendigkeit des Ausweichens, aber evtl. Auch der notwendigen Veränderung.
8 JFK/Kennedy
JFK ist hier auf den ersten Blick mit „schiefem Kopf“ dargestellt. Er sieht etwas Bestimmtes am Rande seines Blickfeldes, dem er besondere Aufmerksamkeit zuwendet. Vielleicht ist aus der Neigung des Gesichts ein Zwiespalt zu erkennen? Das linke Auge wirkt deutlich zielorientierter als das rechte, welches etwas Befremdliches beobachtet. Die Facies lässt vermuten, dass in der Beobachtung eines Vorganges eine störende, vielleicht sogar zerstörende Überraschung von seitlich her auftaucht.
9 Helmut Kohl
Der hier dargestellte Gesichtsausdruck von Helmut Kohl signalisiert eine totale satte Zufriedenheit. Die Augen suchen nach Bestätigung. Ist es die Zufriedenheit in der Bestätigung des eigenen Handelns und der eigenen nicht verrückbaren Überzeugungen? Der Blick lässt das Gegenüber vorwiegend als „den anderen“ und weniger als den zugehörigen (also nicht eine Gemeinsamkeit) erscheinen.
10 Helmut Schmidt
Dieser Ausdruck von Helmut Schmidt lässt die bei ihm gewohnte Überzeugung von eigenem Wort, auch eine gewisse Unnachgiebigkeit in der Kommunikation – die Augen sind offenbar geschlossen – sowie eine rationale Erlebensauffassung erkennen, die sich in dem gepressten Mund zum Ausdruck bringt. Die vorwiegend gerade Strichzeichnung dürfte der Gradlinigkeit von Helmut Schmidt entsprechen, mit welcher er seinen politischen Prinzipien folgte, insbesondere bei der Entführung des Lufthansa-Flugzeugs Landshut mit seinen 80 Geiseln. Diese Gradlinigkeit war es, welche ihn zum Nicht-Nachgeben bewog, auch wenn, wie dann geschehen, Schleyers Opferung nicht mehr auszuschließen war. Sie zeigte sich ebenso in der Gradlinigkeit seiner politischen Zielrichtung, wo er nicht zu erschüttern war, dann allerdings mit dem „Nato-Doppelbeschluss“ Antipathien im Volk wachrief, was zu der Ablösung durch den sich in Selbstbezogenheit flexibel anpassenden Kohl führte.
11 Aung San Suu Kyi
Diese 2013 entstandene Porträt vermittelt in Ausdruck und Handlung Aufmerksamkeit zum anderen, in Verbindung mit eigener Entschlossenheit und der Erwartung des Handelns und des Tuns anderer. Es könnte symbolisch sein für die gerade in diesen Jahren sich öffnende Welt zwischen „Morgenland und Abendland“.
12 Richard Burton
Richard Burton ist hier ein Gesprächspartner. Er hört zu, er interessiert sich für den anderen Menschen, er schaut ihm in die Augen in Bereitschaft zu einem Dialog. Dieser ist nicht beiläufig, sondern bedeutsam, es könnte der Dialog zwischen zwei sich aufeinander zubewegenden Menschen sein.
13 Dieter Hildebrandt
Dieter Hildebrandt hält hier die Augen offenbar geschlossen. Das überrascht. Ist er doch ein Mensch, der mit seiner Kunst als Kabarettist andere angeschaut, deren Erleben wahrgenommen und es karikierend zurückgespiegelt hat. Vielleicht ist dies Dieter Hildebrandt in einer ganz anderen Verfassung, als der, in der man ihn kennt. Er scheint nachzudenken, sein Mund ist geschlossen und die Wangen scheinen etwas eingezogen, also offenbar ein Nachdenken auf eine Lösung hin. Vielleicht hat Dieter Hildebrandt so die Situationen für seine Auftritte in der eigenen Phantasie vorbereitet?
14 M. Reich-Ranicki
Marcel Reich-Ranicki war Opfer und Kritiker zugleich. Als Opfer hat er im Warschauer Ghetto für sich und seine Frau und als Kritiker in der Literatur der Bundesrepublik nicht mehr für sich und seine Frau, sondern für das ganze deutsche Volk zentrale Erkenntnisse und Korrekturen des üblichen Denkens getätigt. Das Porträt weicht stark ab von der expressiven Mimik, welche man aus dem Fernsehen bei ihm kennt. Es könnte einem Zustand der Nachdenklichkeit entsprechen nach einer solchen Fernsehshow, denn er war kritisch, vielleicht aber auch selbstkritisch?
15 Walter Jens
Walter Jens, ein Professor der Rhetorik in Tübingen, wird hier voll ersichtlich: Er wendet sich zu, er teilt mit, er spricht, nicht nur mit Stimme, sondern auch mit Ausdruck und Gestik. Er verbindet Inhalt mit Bewegung und Mitteilung. Es geht weniger um Information, sondern um Emotion.
16 Joe Jackson
Hier sieht man einen Menschen in der Bewegung, sich offenbar orientierend oder vielleicht auch etwas Befremdlichem anderen ausweichend. Er sieht es vorbei gehen. Es dürfte Ängstlichkeit, zugleich aber auch Zuversicht in diesem Bild liegen.
17 Joe Jackson
Dieses entspricht eigentlich dem Bild zuvor und ist es vielleicht auch, nur in einem anderen Abdruck.
18 Frida Kahlo
Frida Kahlo beobachtet, sie tut es schon deswegen, weil sie die Beobachtungen wiedergibt. Doch sind ihre Beobachtungen, wie auch in den offenbar den Kopf umgebenden Phantasien (Affe, Reh) ersichtlich, mit Vorstellungen verknüpft, die sie auf ihre Beobachtungen bezieht. Ihr Porträt signalisiert Genauigkeit der Beobachtungen, aber auch die kritische Wahrnehmung dieser, die mit einer selbstbewussten und kreativen Eigenwelt angereichert wird.
33 Hans Valter
Der Ausdruck wird wesentlich bestimmt durch die geschlossenen Augen und den offenbar gepressten Mund. Es geht also etwas in diesem Menschen vor sich. Was geht vor sich? Gewiss nichts bedenkenloses, nichts einfaches, nichts eindeutiges, sondern etwas was diesen Menschen zum Nachdenken bringt, sei es dass er bei diesen Gedanken etwas persönliches reflektiert, vielleicht sein Handeln, seine Pläne, seine Bewertung oder Beurteilung eines Geschehens oder eine unerwartete Wahrnehmung. Doch vielleicht zeigt sein Ausdruck die Suche einer zielorientierten Lösung oder das Nachdenken über die Gründe eines Sachverhalts oder eines Geschehens. Andererseits mag der Ausdruck hinweisen auf ein persönliches Betroffensein, vielleicht eine stille Überraschung durch eine Nachricht (weniger durch einen Vorgang, weil er die Augen schließt)
Der Ausdruck ist vielleicht aber auch eine Reaktion auf die Mitteilung eines persönlich betreffenden Urteils, sei es im Rahmen beruflicher Vorgänge oder vielleicht auch der Mitteilung in einer Gerichtsverhandlung. In der Mischung des Ausdrucks, nämlich dem nach Innen, also auf die eigenen Gedanken bezogenen verschlossenen Augen einerseits und dem gepressten Mund, andererseits lässt sich vielleicht auf eine aktuelle Situation oder eine durch eine Mitteilung veranlasstes und vermutlich nicht aus eigenem Impuls erwachsenes Schweigen schließen.
Das Bild stellt einen Menschen dar, der aus Gründen seines Gewissens, eines Entsetzens, einer massiven Kränkung oder wegen überwältigender Trauer den Blick nach innen richtet und dessen Mund jede Äußerung sperrt.
34 „Li“
Li ist eine Frau mit wachen Augen, mit Interesse an dem was um sie herum vor sich geht, wobei dies im Augenblick offenbar überraschend ist. Sie verfolgt es mit fixierenden Augen, mit wachem Interesse und offenbar erwartungsvoll. Doch scheinen ihre Erwartungen eher bedenklich oder gar furchtsam. Auch wirkt sie mimisch geprägt, evtl. als Folge von Befürchtung oder böser Ahnung. Ihr Blick ist etwas starr wirkend auf einen Vorgang gerichtet, der auf keinen Fall erfreulich ist, vielmehr irgendetwas Böses oder Schicksalhaftes erwarten lässt. Es ist weniger eigene Angst, sodass sich diese Erwartung vermutlich nicht auf die eigne Person, aber auf einen für Li bedeutsamen Vorgang oder Menschen richte. Es ist die Erwartung eines Schicksals, zumindest von irgendetwas welches von Li nicht beeinflusst werden kann, welches aber für sie jedenfalls indirekt bedeutsam ist. Diese Erwartung bezieht sich auf etwas optisch Wahrnehmbares, nicht auf eine verbale Mitteilung (dann wäre der Blick wohl kaum so fixiert, er ist es auch nicht auf etwas Entsetzliches oder Schreckliches, doch auf etwas das dazu führen kann). Der Blick signalisiert höchste Aufmerksamkeit und zugleich eine nachdrückliche Befürchtung. Man kann nur hoffen, dass es Li heute noch gut geht.
32 Pater Lennartz
Pater Lennartz scheint ein Gläubiger und zugleich ein offener Mensch zu sein. Seine Motive stützen sich auf seine religiöse Überzeugung und richten sich auf die Menschheit. Vielleicht nimmt sein Blick soeben etwas wahr, wo er sich zur Hilfe aufgerufen sieht, zunächst unmittelbar im Vorgang selbst, danach aber vielleicht auch mit einer pastoralen Stützung. Er ist ein Mensch, dessen Einsatzbereitschaft sich aus persönlichen Verantwortungsgefühl und zugleich religiöser Überzeugung speist. Pater Lennartz wird von tief verankerten Beweggründen motiviert und von einer überzeugten Glaubenshaltung getragen. In dieser Verbindung sieht er Sinn und Wert seines Lebens. Das möchte er auch anderen Menschen vermitteln. Er ist zwar Individualist, aber nicht Einzelgänger. Er fühlt sich getragen von seinem Glauben und beschützt von der Gemeinschaft, welche diesen mit ihm teilt. So ist seine Einstellung zu den anderen Menschen und für diese fest verankert in ihn ganz persönlich und getragen von der Gemeinschaft, mit der er seine Überzeugung teilt.
31 Dr. Haubrich
Er ist „Dr“, doch lässt er nicht erkennen welches Faches. Denn er signalisiert mit verschmitztem Lächeln „du kannst mir nichts anhaben“. Dieser Eindruck wird von seiner linken (vom Beobachter her der rechten) Gesichtshälfte durch ein angehobenes Augenlid und die zum Lächeln angehobene Wange vermittelt.
Könnte Dr. Haubrich eine Facialis-Parese haben, eine Gesichtslähmung? Denn seine rechte Gesichtshälfte ist anders. Sie hängt eher herab, besonders die Augenpartie betreffend. Das geöffnete rechte Auge richtet Aufmerksamkeit auf das Geschehen außen. Das halbgeschlossene linke Auge signalisiert etwas Verborgenes, vielleicht ein Lächeln über das außen Geschehende oder auch ein Geheimnis.Die Gleichzeitigkeit von Interesse rechts und Verhaltenheit links, könnte der Ausdruck für eine zwiespältige Einstellung über dem Geschehen außen sein. Es war sein 60. Geburtstag, vielleicht hatte er solche Gäste, die er einladen musste und solche die er einladen wollte.
30 Mama Mia
Mama scheint beschäftigt. Die Augenlider sind halbgeschlossen, offenbar liest sie etwas. Sie ist vielleicht auch eingeschlafen, denn die Augen könnten auch geschlossen sein. Jedenfalls schlief sie nicht absichtlich ein, denn sie trägt noch ihre Brille. Sie war also dabei etwas zu lesen oder liest es noch.Was mag dies sein? Ihr Ausdruck wirkt gespannt, eher mit gepresstem Mund, was evtl. die Spannung im Lesestoff oder auch ihren Missmut darüber ausdrückt. Das Kinn scheint etwas vorgeschoben, was auf Bedenken oder gar Kritik, vielleicht sogar auf Abscheu hinweist. Meine Mutter (Mama Mia) ist wahrscheinlich in einer gewissen Spannung verharrend, sie drückt die Schultern nach vorn, ist vornüber geneigt und wirkt offenbar beeindruckt von dem, was sie liest, wie beeindruckt ist weniger deutlich, als wie nicht: sie ist nicht erfreut, die linke hochgezogene Augenbraue gibt Bedenken zu erkennen, vermutlich wird sie das Buch nicht zu Ende lesen, oder nur die Lösung dessen, was sie gerade liest, noch wahrnehmen. Mama Mia wendet sich zumindest dem Leben intensiv zu und wohl auch ihren Kindern.
29 Mutter L.
Die Mutter der Künstlerin ist souverän. Sie schaut in die Welt und nimmt wahr. Sie nimmt offenbar vieles mit wachen Augen und offenen Sinnen wahr. Sie nimmt es objektiv wahr. Sie bildet sich keine Vorurteile, sondern begründete Meinungen. Sie weiß die Dinge zu klären und zu ordnen. Ihr Gefühlsleben gibt sie nicht so schnell preis und weiß es auch zu ordnen. Sie reagiert vielleicht streng, aber immer aus einer Überzeugung. Sie ist ein Mensch mit Grundsätzen, doch nicht mit starren. Sie kann diese Grundsätze auch kommunizieren und nicht nur danach handeln. Doch weiß sie, was sie will. Die zwischenmenschliche Nähe steht ihr dabei im Mittelpunkt. Man kann ihr nahe kommen, doch sie muss die Nähe auch wollen, es geht ihr nicht um Toleranz von etwas Fremdem, sondern um die Nähe in Gefühl und Überzeugung. Vielleicht sind ihr auch Wesenszüge eigen, welche die Tochter in ihrem Kunstwerk nicht zum Ausdruck bringt?
28 Vater L.
Ein strenger Herr, aufgabenorientiert und zielbewusst. Seine Verantwortung wissend und ihr folgend. Im zwischenmenschlichen Bezug erwartet er Kommunikation, auch dann, wenn er selbst das Ziel angibt. Er ist ein verantwortungsbewusster Mensch, der sich für die ihm nahe Stehenden, aber ebenso für die Bewältigung der umfangreichen Lebensaufgaben, verantwortlich sieht. Er ist ein ernster Mann, der für seine Angehörigen verlässlich ist. Diese gewinnen ihre innere Sicherheit in ihm. Die Liebe zu Frau und Kindern lässt seine Gefühle nicht in einem Tiegel schmelzen, sondern verformt sie zu festen Brücken. Er ist selbstbewusst und dominant, aber auch fürsorglich und zu jedem Einsatz bereit. Er ist niemals Zweifler, sondern Meinungsträger. Einfühlsamkeit ist nicht seine Stärke. Er handelt in Verantwortung, mit klarer Zielorientierung und mit Fürsorge.
27 Porträt Augustin Kounouvi (Benin-Afrika Kopie)
Augustin ist warmherzig, er ist aber nicht bedrängend. Seine dunkle Hautfarbe vermittelt zwischenmenschliche Wärme. Diese ist eingebettet in rational klare Gedanken und rationale Ziele. Er ist ein guter Freund, Menschen sind ihm wichtiger als Karriere.
Eröffnungsrede zur Ausstellung "immer ist jetzt." Rede zur Vernissage/Jubiläumsausstellung/Werkschau 25 Jahre am 28.03.2014 im Gypsilon in Aachen

Ausstellungsreden
(Rede für Inges Ausstellung“Immer ist jetzt.“ Jubiläumsausstellung .Werkschau 25 Jahre .zurVERNISSAGE .28.3.2014 im Gypsilon -AC.....) von Chris Kilian Hütten
Als Inge mich gebeten hat, heute eine einführende Rede zu halten, musste sie von zwei Tatsachen ausgehen: Wir sind seit unserer Schulzeit eng befreundet und ich bin Psychologin. Es muß somit ihrem Wunsch entsprechen, dass ich heute aus diesen beiden Perspektiven etwas sage zu dieser Präsentation ihrer Bilder aus den letzten 25 Jahren .
Aus Rosen sollte der Blumenstrauß sein, hatte unser Kunstlehrer in der 7. Klasse gemeint und ich hatte meinen Strauß sofort vor Augen. Ich erinnere mich gut an meine Versuche, etwas von dem auf den Zeichenblock zu bekommen. Nach langen Wochen und endlosen Doppelstunden hatte ich zwei angedeutete Rosen zu Papier gebracht und eine ausgemalte Blüte, die aber in keiner Weise an die naturalistischen Schönheiten in meinem Kopf heran reichte.
Die Produkte meiner Mitschüler waren so unterschiedlich wie ihre Handschriften. Als ich auf Inges Blatt guckte, stockte mir leicht der Atem. Ihr Blumenstrauß war prall, frech und lebensfroh. Der Strauß war aus Blüten, in denen sich die Rottöne scheinbar ungeordnet präsentierten von hellrot , knallrot bis hin zu dem dunklen satten Rot eines Samtvorhangs. Die meisten Blüten waren getupft, gekleckst und nur ein paar angedeutete dunklere Linien machten mir weis, dass sie Rosenblüten waren. Und es gelang . Einen schöneren Strauß hatte ich noch nie gesehen und ich konnte mir in dem Augenblick gut vorstellen mal etwas auszuprobieren ohne genau zu wissen , was richtig oder falsch ist, einfach wagemutig zu sein und mich nicht zu scheren.Sie hatte sich offenbar erst gar nicht an den Versuch gemacht, möglichst naturgetreu etwas abzubilden, um dann an ihren eigenen Ansprüchen zu scheitern.
Dieses Ausprobieren, sich um keine Perfektion kümmernd geht einher mit der Lust, sich zu verlieren im Tun, aufzugehen im Augenblick. - Manche Psychologen unterstellen dem Menschen eine Art Spieltrieb, der zweckfrei ist. Ihm nachzugeben bringt sie sie in einen flow , einen Bewusstseinszustand, der äußerst genussvoll erlebt wird. Wir kennen das alle: das Zeitgefühl schwindet, alles andere ist ausgeblendet und du bist gefangen in der momentanen Ausschließlichkeit des Tuns.
In einem Gedicht über das Glück schreibt Inge ..
„Was für ein Glück ein schönes
Bild herzustellen, dabei, davor,
dazwischen oder weg damit!
Hauptsache: das Tun, das Werden,
das Vollenden - das Zeigen, das
Darüber-Reden, das Dabei- Sein, das
Abgeben in gute Hände, das
Glück danach ,wenn es
wandert, Fremde teilen es, { ergänzt: werden zu Freunden.}….“
Diese Art von Glück im spielerischen Ausprobieren hört sich simpel an und ist nur scheinbar einfach zu erreichen.
Meiner Meinung nach gehört vor allem dazu ein Geist, der sich erlaubt wagemutig und unkonventionell zu sein, der riskiert über die Stränge zu schlagen.Natürlich gehört dazu ein Talent , das dir die Umsetzung auch ermöglicht und dir bei deinen Versuchen mehr Befriedigung einbringt als Frust. Die meisten Toptalente in Kunst und Sport – da ist sich die Forschung einig - sind „sampler“- „Ausprobierer“ und probieren so lange, bis sie das Richtige für sich finden auf der großen Spielwiese. Aber es gehört noch mehr dazu, sich dann in einem Bereich weiter zu entwickeln.Ohne inneres Konzept, das dem Tun einen eigenen Sinn gibt, fehlt die nötige Leidenschaft, ohne Willenskraft und einer guten Portion Selbstvertrauen bleiben die Anreize am Ende eher brach da liegen.
Betrachtet man diese Ausstellung von nur einigen Werken Inges aus den letzten 25 Jahren, dann wird deutlich, - dass bei vier Kindern, ihrer Berufstätigkeit und der Belegung immer neuer Kurse bei ganz unterschiedlichen Lehrern – dass diese Schaffenskraft eine besondere sein muss. Kein Mensch schafft so viel, indem er einfach nur „fleißig“ ist
Ihr Wunsch immer wieder etwas aufs Papier zu bringen scheint emotional verankert , wird offenbar zum tiefen Bedürfnis und ist relativ unabhängig von äußeren Bewertungen oder einer zukünftigen Absicht
Vor Jahren blieb ich in einer Ausstellung Inges irritiert und fasziniert vor dem weiblichen Akt stehen, der dort hinten..(4.von rechts, Mitte).in der Ecke hängt.
Plakative ,ungestüme Pinselstriche beschreiben diesen Frauenkörper in einer Phase größter Wollust. Gehalten in gelb -beigen Tönen wirkt er mit den dicken Brüsten und der Rundung des Pos zart und schwungvoll zugleich. Das Gesicht ist unbearbeitet, vergessen. Es ist völlig weiß, leer. Das geschlossene Auge begnügt sich mit einem schwarzen Pinselstrich in einem Bogen. Der Mund ist ein dahin geworfener ovaler Kreis und brennend rot. Alles andere vom Gesicht muß man sich denken, unter den Locken verborgen. -
Ich bin peinlich berührt. Eine hirnlose Frau? Ein Dummchen ?
Damals während des Studiums, als wir zusammen wohnten, erzählten wir uns ,ob wir eher zu einem klitoralen oder vaginalen Orgasmus kommen. In unserem großen Zimmer hing ein Plakat der Mitglieder der Kommune 1. Männer und Frauen lagen nackt auf einem riesigen Bett in Reih und Glied. Wir waren drauf aus, uns von den alten Rollenklischees zu distanzieren ! Sex- Ja ! Aber doch nicht mehr nur als Objekt der Begierde
-Und nun dies! Ich gehe näher ran und sehe, dass die weiße Fläche des Gesichts sehr wohl gestaltet ist. Hinter der Leere steckt Absicht! - Und dann möchte ich das Bild haben von der Frau, die sich hemmungslos ihrer Lust widmet, die offenbar alle Gedanken ausschalten kann, die mit hergebrachten lustfeindlichen Normen einfach gebrochen hat, in dem Augenblick nur noch eins im Sinn hat und das auch noch ungehemmt zur Schau trägt.
Auch bei diesem Gestaltungsversuch hat sie bewusst den Raum der Gewissheit verlassen und ist einer Idee gefolgt, übliche Erwartungen außer Acht lassend. Natürlich begibt sie sich damit in Gefahr, verkannt zu werden. Und natürlich bin ich froh, dass ich es gerade noch mal geschafft habe und ich nicht meinem eigenen Vorurteil erlegen bin.
Befrage ich Inge nach dem Interaktionsprozess beim Portraitieren zwischen sich und dem Modell, beschreibt sie ihre Suche nach dem „wahren“ Gesicht, dem Bleibenden hinter der Fassade.
Ihr Hang zu karrikieren, bringe sie auch oft dazu ,die Menschen schöner zu malen, als sie sind. Quasi als Ausgleich, um Respekt zu zeigen vor der Würde des anderen. Ihre Suche nach dem, was diesen Menschen zu etwas Besonderem mache, lasse in ihr oft ein überscharfes, schon überzogenes Bild entstehen und das sei nicht beeinflussbar, weder durch gekonntes Make-up noch versuchtes Posen.
Ihr „small talk“ am Anfang, das langsame umständliche Beginnen, all das seien Versuche ihre Modelle zum ersten kleinen Ermüden zu bringen. „Nach 4 Minuten schon merkt man die Veränderung. Natürlich kommt jeder mit seinem Sonntagsgesicht und setzt seine beste Miene auf, aber länger als 4 Minuten kann keiner das halten und je länger das Ganze dauert ,um so entspannter werden die Züge.“
Die weiteren Beschreibungen lassen keinen Zweifel - meine Freundin hat ein Konzept von dem ,was sie aufs Papier bringt.„Ich male sowieso nicht das Ideal, das die Menschen von sich haben, ich male, was ich in ihnen sehe. Jeder von uns hat natürlich eine Imagination von sich. Wenn ich das treffe, was demjenigen an sich gefällt, dann ist der andere oft überrascht und findet in der Regel Gefallen an demBild. Stimmt die fremde Beschreibung nicht mit dem Selbstbild überein, sieht es oft anders aus
Mir gefällt das Beispiel, wo ein befreundeter Mann sich von ihr hat malen lassen
Sie kannte ihn als lustigen Jungen aus dem Volk, als einen Menschenfreund, der mit funkelnden Augen gerne zotige Witze machte, wobei er sich selbst in keiner Weise verschonte
Als er zum ersten Mal zum Modellsitzen kam, erzählte er von seiner bevorstehenden Meniskusoperation. Er wirkte auf einmal zart, dünnhäutig. In seinen abgeklärten Augen lauerte Angst und sein Gesichtsausdruck war sorgenvoll. Sie unterhielten sich und es fielen Sätze wie „ Später kräht kein Hahn nach dir ! Glaub doch nicht, dass du soo wichtig bist.“ Sie kannte diese feinfühlende , sensible Seite an ihm und seinen Hang sehr empfindlich zu reagien
Das Bild wurde richtig gut!-Als der Mann es zum ersten Mal begutachtete, nickte er immer wieder langsam mit seinem Kopf und sah dabei etwas überrascht und nachdenklich aus .- Seine Frau fand es einfach nur fürchterlich, absolut unpassend und sie weigerte sich strikt, es in ihrem Haus aufzuhängen.
Inge malte ein zweites Bild, ihn mit seiner anderen Seite.
Auch dieses Bild wurde gut. Ihr Pinselstrich offen und locker. Die Farbgebung expressiv und klar dem Ausdruck unterliegend. - Welches Bild nun war das Gültige ? Welches kam dem Kern näher ? Für seine Ehefrau war das ganz klar...
Ein künstlerisch tätiger Mensch interessiert sich vor allem für seine innere und stilistische Entwickung, nicht so sehr für das öffentliche Spektakel. Er weiß um seine Begrenztheit und kann Zweifel zulassen, aber er lehnt gleichzeitg das Normative ab und ist überzeugt von sich. Er bedarf keiner Weihen auf irgendeinem Markt und gleichzeitig will er natürlich eine Öffentlichkeit, die seine Werke betrachtet und auch kauft.
Diese Gedanken gehen mir durch den Kopf, als ich darüber nachdenke, dass meine Freundin nicht Künstlerin genannt werden möchte. Mir ist das sympathisch und bislang habe ich diese Beschreibung in meiner Rede umschifft. Aber ich habe mich mit Inge vielleicht noch nicht genügend darüber unterhalten.
Sie hat doch im Grunde alles, was eine Künstlerin unserer Zeit ausmacht: Ein unverwechselbares Talent.
Ihre Bilder gehen über eine reine Abbildung hinaus und vermitteln einen von ihr gefundenen Sinn mit formalen Mitteln , die in einem guten Verhältnis stehen. Die Palette der Farbtöne ist breit und sowohl die Wahl des Tons bei der Farbgebung als auch die Proportion ihrer Figuren unterliegen dem Ausdruck.
Sie belegt ihren unkonventionellen Geist durch Lösungen, die gegen den Strich gehen.
Das kann ich im Übrigen auch im Schreibkurs wiederfinden. Auch den Mut und die sich selbst nicht schonende emotionale Offenheit finde ich wieder. „Du schreibst ,wie du malst“sage ich häufig
Für sie selbst stimmt dieser Vergleich nur bedingt.
Beim Zeichnen und Malen verspüre sie eine Leidenschaft und könne nicht eher ruhen, bis das Bild für sie perfekt sei.
Schreiben erlebe sie oft als Arbeit und sie brauche regelrecht Hausaufgaben.
Zum Malen fühle sie sich gedrängt, dass sei eher ihr Ding, da entwickle sie wie von selbst eine ungeheure Schaffenskraft.
Ich finde: Besser als durch diese Ausstellung heute kann sie das nicht belegen !